Nachrichten aus Polen

Ein sehr seltener Anblick – diese Fleischerei in Kandrzin-Cosel (Ke-dzierzyn-Kozle) trägt ein polnisch- und deutschsprachiges („Fleisch und Wurst“) Firmenschild. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Ein sehr seltener Anblick – diese Fleischerei in Kandrzin-Cosel (Ke-dzierzyn-Kozle) trägt ein polnisch- und deutschsprachiges („Fleisch und Wurst“) Firmenschild. Foto: Till Scholtz-Knobloch

aus dem Internetportal "Alles-Lausitz.de" vom 3. Mai 2023

 

Leben nur 132.500 Deutsche in ganz Polen?

 

Görlitz/Warschau. Das Polnische Statistikamt hat die Zahlen der Volkszählung aus dem Jahr 2021 veröffentlicht. 38.700 in Polen gemeldete Menschen gaben als ihre dominierende Nationalität deutsch an, weitere 93.800 deklarierten neben ihrer Erstoption, sich auch der Gruppe der Deutschen zuzuordnen, womit 132.500 Bekenntnisse zum Deutschtum in Polen vorliegen. 

Zum Vergleich: Allein in der deutschen Stadthälfte von Görlitz lebten im März 5.021 Polen und damit bereits ein Sechsundzwanzigstel aller in Polen lebenden Deutschen!

Das polnische Minderheitsverständnis, in dem immerhin gegenüber zu Deutschland noch sauber zwischen Nationalität – also dem nationalen Bewusstsein völlig unabhängig vom eigenen Sprachvermögen und der Staatsangehörigkeit – und eben der Staatsangehörigkeit unterschieden wird, weist eine Besonderheit auf. An Weichsel und Oder wird im Gegensatz zu Deutschland nicht von nationalen Minderheiten gesprochen, sondern von „nationalen und ethnischen Minderheiten“. Diese Terminologie ist letztlich ein Resultat des früher so bezeichneten „schwebenden Volkstums“ vor allem unter den Oberschlesiern, aber auch unter Masuren und Kaschuben.

Der Umstand, dass in der am dichtest besiedelten Region des Landes – Oberschlesien – schon zu deutscher Zeit oft Nationalität und erste Muttersprache voneinander abwichen, begründete die Hilfskonstruktion einer „ethnischen Minderheit“. Intention war nach 1945 zugleich jedoch vor allem, dass eine ethnische Sonderform die deutsche Option oder eine deutsch-oberschlesische Mischoption kaschieren konnte.

132.500 Deutschen stehen in Polen heute 585.700 Menschen gegenüber, die sich als Oberschlesier deklarieren, 176.900 Einwohner Polens bekennen sich als Kaschuben, die zumeist den slawischen Idiom im Hinterland von Danzig sprechen. Den drei „großen“ Minderheiten standen 2021 gegenüber: 79.400 Ukrainer, 54.300 Weißrussen, 48.700 Briten, 25.100 US-Amerikaner, 17.700 Italiener, 15.700 Juden (die quasi von der nationalen Frage ausgenommen erfasst sind), 14.800 Russen, 13.000 Franzosen, 12.700 Lemken in Galizien, 11.800 Roma, 10.000 Iren und 9.700 Litauer. Letztere, Weißrussen oder Ukrainer gehörten fast vollständig autochthoner, also alteingesessener Bevölkerung an.

Unter den 132.500 Deutschen ist der Anteil von Erwerbszuwanderern aus der Nachwendezeit in der Minderheit. Die meisten Deutschen in Polen leben in der oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln (Opole), die historisch besonders vom „schwebenden Volkstum“ bewohnt wurde. Die Annahme, diese für Polen zu begeistern, was ihre Vertreibung verhinderte, bewahrheitete sich nach 1945 jedoch nicht. Die Region blieb der „Hotspot“ für Millionen deutsche Aussiedler in die Bundesrepublik.

Nach der Aufnahme von 1,5 Millionen Ukrainern infolge des Krieges mit Russland machen die 79.400 alteingesessenen Ukrainer in Polen mittlerweile sogar nur eine verschwindende Minderheit aller heute in Polen lebenden Ukrainer aus.

Den 132.500 deutsch Optierenden im Lande stehen interessanterweise 199.000 Menschen gegenüber, die die deutsche Sprache im häuslichen Kontakt verwenden! 6.600 Menschen in Polen nutzen daheim nur die deutsche Sprache und dürften damit weitgehend Zuwanderer aus der Nachwendezeit sein. 600 Menschen sprechen Niederländisch und 400 Norwegisch.

Überraschend bzw. interpretationsbedürftig ist, dass sich 2011 nur 58.170 Menschen zum Gebrauch der deutschen Sprache bekannten und nun fast das Vierfache! Die deutsche Minderheit Polens ist im Sejm durch den Abgeordneten Ryszard Galla vertreten. Dieser bekundete, dass Corona die Erfassung seiner Ansicht nach deutlich beeinflusst habe. Vor dem Hintergrund vieler telefonisch erhobener Daten ist hier sicherlich noch genau auf regionale Unterschiede zu schauen. Dies ist vorerst nicht möglich, da die Zahlen noch nicht regional aufgeschlüsselt vorgestellt wurden. In jedem Fall können sich die „Nationaloberschlesier“ in den beiden oberschlesischen Woiwodschaften als „Verlierer“ betrachten, denn nach einem „schlesischen“ Votum von 840.000 Menschen 2011 bekannten sich nun nur 585.000 Oberschlesier zu einer „schlesischen Nationalität“, deren Existenz oder Nichtexistenz weiterhin leidenschaftlich diskutiert wird.

Die Gesellschaften der deutschen Minderheit in Polen sprechen häufig von einer halben Million Deutschen in Polen und sehen diese Option als Unterart eines eigentlich deutschen Bekenntnisses. Umgekehrt sieht der Großteil der nationalen Polen in den (Ober-)Schlesiern Polen mit fehlendem polnischem Nationalbewusstsein. Unzweifelhaft ist, dass die „Dunkelziffer“ deutscher Bevölkerung in Polen aus historisch begründeter Bekenntnisangst sicher Zahlen weit jenseits von 132.500 begründet.

Till Scholtz-Knobloch / 03.05.2023

 

aus dem Internetportal "Polen Journal" vom 28. April 2023

 

Was wird am 3. Mai in Polen gefeiert?

Der 3. Mai ist neben dem 11. November (Unabhängigkeitstag) in Polen ein wichtiger Nationalfeiertag. Doch was wird eigentlich gefeiert? Eine kurze Geschichte.

Am 3. Mai wird in Polen der Jahrestag eines sehr wichtigen Ereignisses aus dem Jahr 1791  gefeiert – nämlich der Verabschiedung der polnischen Verfassung. Der Nationalfeiertag wurde im Jahr 1919 eingeführt und später im Jahr 1990 erneuert. Es ist in Polen ein arbeitsfreier Tag. 

Die polnische Verfassung ist die zweite demokratische (nach der Verfassung Korsikas von 1755) im neuzeitlichen Europa und die dritte (nach der amerikanischen Verfassung) auf der Welt, die verabschiedet worden ist. Sie wurde vom Vierjährigen Sejm, der im Oktober 1788 berufen wurde, verabschiedet. Der Nationalfeiertag wurde am 5. Mai 1791 berufen, jedoch durch die weiteren historischen Ereignisse (Besetzung und Teilung Polens) streng verboten. 

Erst am 29.04.1919, nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1918, wurde der Feiertag am 3. Mai wieder gesetzlich eingeführt. In der Nachkriegszeit feierte man bis zum Jahr 1946. Während der Feierlichkeiten kam es aber oft zu Demonstrationen, die von Studenten angeführt wurden, sodass die kommunistischen Führungsmächte den Feiertag wieder verboten haben. Jegliche Proben von öffentlichen Manifesten wurden von der Bürgermiliz unterdrückt. Offiziell wurde der Feiertag im Jahr 1951 aberkannt und erst 1981 begannen die Behörden den 3. Mai wieder einzuführen. Letztendlich wurde er mit dem Gesetz vom 6. April 1990 anerkannt, am 28.04.1990 ins Leben gerufen und wird bis heute gefeiert. 

Seit dem Jahr 2007 ist der 3. Mai auch ein Nationalfeiertag in Litauen.

 

 

aus dem Deutschland-Portal "deutschland.de" vom 15. April 2023

„Man kann fast von einem Wunder sprechen“

Rolf Nikel, Vizepräsident des Deutschen Polen-Instituts, im Interview über die deutsch-polnische Partnerschaft, das Gedenken und anstehende Aufgaben

von Arnd Festerling, 14.04.2023

 

 

Herr Botschafter Nikel, seit Januar sind Sie Vizepräsident des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt. Welche Aufgaben hat das Institut?

Das Polen-Institut ist ein Zentrum für polnische Geschichte, für Politik und Gesellschaft. Wir versuchen, die Beziehungen mit unserem wichtigsten östlichen Nachbarn zu pflegen. Dies geschieht im Wesentlichen durch Programme in Deutschland und durch eine außerordentlich große Bibliothek, die zurückgeht auf den Gründer des Instituts, den großen Schriftsteller und Übersetzer polnischer Literatur, Karl Dedecius. Wir arbeiten dabei sowohl praxisorientiert, fördern aber auch die wissenschaftliche Kommunikation.

In besonderer Weise kümmert sich das Institut um den sogenannten Ort des Erinnerns und der Begegnung in Berlin. Dieser Ort wurde vom Deutschen Bundestag 2020 beschlossen und eine Expertenkommission hat diese Idee inhaltlich gefüllt und ausgearbeitet. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, setzt die Arbeit nun fort. Der Ort des Erinnerns und der Begegnung ist ein ganz wichtiges Element der deutsch-polnischen Verständigung und das Polen-Institut leistet hier einen wesentlichen Beitrag, um die Erinnerung an den millionenfachen Mord an Polinnen und Polen aufrechtzuerhalten. Da habe ich, wenn man so will, auch eine gewisse Kompetenz.

Die aus Ihrer Zeit als Botschafter in Polen herrührt?

Ja, zum einen, aber vor allem, weil ich Vorsitzender der Expertenkommission war, die sich um dieses wichtige Element der bilateralen Beziehungen gekümmert hat. Wir wollen versuchen, die Erinnerung aufrechtzuerhalten und wir wollen, dass auch junge Leute sich mit dem Thema beschäftigen. Beides kann aber nur dann stattfinden, wenn die Menschen sich mit dem Thema auch auseinandersetzen. Deswegen soll der Ort Denkmal für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzung in Polen und eine Stätte der Begegnung und Bildung zugleich sein.

 

 

Das Institut gibt es seit 1980, eine lange Zeit. Wie hat es sich um das deutsch-polnische Verhältnis verdient gemacht?

Es hat über die Jahre hinweg im Sinne von Karl Dedecius sehr dazu beigetragen, in Deutschland das Bild von Polen zu schärfen. Es hat Verständnis für Polen, für seine Menschen, für seine Gesellschaft geschaffen. Dazu tragen die sogenannten Polen-Analysen bei, die alle 14 Tage in Form einer Zeitschrift publiziert werden und aktuelle Probleme und Fragen aufgreifen. Oder das sogenannte „Polenmobil“, das in Schulen fährt und Schülerinnen und Schülern in Deutschland polnische Geschichte, polnische Kultur und Lebensweise näherbringt. Das alles führt zu einem besseren Verständnis.

 

 

Stichwort Verständnis: Das deutsch-polnische Verhältnis auf politischer Ebene könnte besser sein?

Ja, aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass die Beziehungen viel besser sind als der Ruf, der ihnen vorauseilt. Wenn Sie sich die Zivilgesellschaft anschauen, die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit, den Jugendaustausch, die Städtepartnerschaften, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den östlichen Regionen, vor allen Dingen die der Polizei, die Zollzusammenarbeit, all das funktioniert ganz hervorragend. Das gilt auch für die zweite wichtige Säule der Beziehungen, die sich in den letzten Jahren wirklich sehr dynamisch entwickelnden Wirtschaftsbeziehungen. Polen ist mittlerweile, je nachdem, ob sie Import oder Export betrachten, der viert- oder fünftgrößte Handelspartner Deutschlands und Deutschland wiederum ist der wichtigste Handelspartner Polens. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit funktioniert hervorragend und ohne Probleme.

 

Die Partnerschaft hat also ein stabiles Fundament, obwohl Deutschland Polen im Zweiten  Weltkrieg so viel angetan hat?

Ich glaube, dass wir hier fast von einem Wunder sprechen können. Das habe ich auch als Botschafter in Warschau immer wieder gesagt. Deutsche haben während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Polinnen und Polen umgebracht, sie haben fürchterlich gewütet, Warschau ist fast völlig zerstört worden. Daher ist es umso bedeutsamer, dass sich seit Anfang der 1990er-Jahre eine wirkliche Partnerschaft entwickelt hat. Diese Partnerschaft zeichnet sich auch dadurch aus, dass beide Länder in der NATO und in der Europäischen Union sind. Zum ersten Mal in der Geschichte von Deutschland und Polen stehen wir auf derselben Seite. Das ist wirklich eine fantastische Entwicklung. Nehmen sie das deutsch-polnische Jugendwerk: Seit seiner Gründung 1991 haben drei Millionen junge Deutsche und Polen das jeweils andere Land besucht. Sie alle sind Botschafter und Botschafterinnen der guten deutsch-polnischen Beziehungen.

 

Welche Aufgaben stehen noch an im deutsch-polnischen Verhältnis?

Wir haben jetzt, so zynisch es ist, eine gute Gelegenheit für einen wichtigen Schritt. Durch den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine gibt es großen Druck, eine gemeinsame Ostpolitik zu formulieren. Die deutsche Politik hat hier in der Vergangenheit eine Reihe von schwerwiegenden und folgenschweren  Fehlern gemacht. Aber jetzt besteht die Chance, eine gemeinsame europäische Ostpolitik auf Augenhöhe zu betreiben. Das ist einerseits eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance, die wir nutzen sollten. Wichtig ist zudem die ständige Arbeit an dem Bekenntnis „Nie wieder“. Das dürfen wir Deutschen nicht vergessen und dem dient der Ort des Erinnerns und der Begegnung in Berlin. Natürlich wäre es auch schön, wenn Polen mit der Europäischen Union zu einer Lösung der rechtsstaatlichen Problematik käme. Das würde viel Energie für andere Dinge freisetzen. Und schließlich sollten wir uns, auch finanziell, mehr um die deutsche Minderheit in Polen und die polnischstämmigen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland kümmern, die nach dem Nachbarschaftsvertrag von 1991 die gleichen Rechte haben.

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Rolf Nikel ist Vizepräsident des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er war von 2014 bis 2020 deutscher Botschafter in Warschau. Nikel leitete als Vorsitzender die Expertenkommission zum Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen. Er veröffentlichte jüngst das Buch „Feinde Fremde Freunde: Polen und die Deutschen“.

 

 

Deutsch-polnisches Verhältnis: Feinde, Freunde, Fremde?

Deutschland und Polen waren lange verfeindet. Das änderte sich erst nach 1989. Dennoch ist das deutsch-polnische Verhältnis alles andere als vertraut. Was muss sich verbessern?

Ein Gastbeitrag von Rolf Nikel,

erschienen im "Tagesspiegel" am 05.02.2023, 13:49 Uhr

 

 

Rolf Nikel ist ehemaliger Diplomat. Von 2014 bis 2020 war er Botschafter in Polen. Seit 2020 ist er Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er ist Experte für Sicherheitspolitik und Osteuropa.

Deutsche und Polen stehen heute auf der gleichen Seite der Geschichte – im Kontrast zu den Jahrzehnten vor der Wende 1989. Und doch vergeht kaum ein Tag ohne schlechte Nachrichten über die deutsch-polnischen Beziehungen. Sind wir uns immer noch fremd?

 

Auf beiden Seiten erschweren Stereotype die Verständigung. Was Deutsche oft irrtümlich für rein innenpolitische Entscheidungen halten, hat Auswirkungen auf die Nachbarn. Das ist Deutschen oft nicht bewusst. Unsere Kenntnisse über Polen, insbesondere über die Leiden im Zweiten Weltkrieg sind – höflich gesagt – ausbaufähig. Manche Zeitgenossen in Deutschland reden über Polen, als gehe es um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Einen deutschen Führungsanspruch in der EU lehnt die Regierung in Warschau ab. Sie wehrt sich gegen die Kritik an der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Da könnte sich immerhin ein Kompromiss abzeichnen. Deutschland steht im Fokus des polnischen Wahlkampfs.

Polens Imagewandel und der „polnische Moment“

Der russische Krieg direkt vor der Haustür hat viele Polen zutiefst verunsichert. Zugleich bewirkt die Hilfsbereitschaft, mit der die polnische Gesellschaft ukrainische Flüchtlinge versorgt, dass viele Europäer Polen neu wahrnehmen, mit Respekt und Bewunderung. Wird die Regierung in Warschau diesen „polnischen Moment“ in der EU klug nutzen?  

Deutsche und Polen waren über Jahrhunderte hinweg Feinde. Der deutsche Angriff auf Polen 1939 und die schrecklichen Verbrechen in seinem Gefolge markieren den Tiefpunkt dieser Entwicklung. Erst der Sieg der Gewerkschaft Solidarnosc und die deutsche Einheit haben uns zu Verbündeten in Nato und EU werden lassen.

Die Grundlagen der heutigen Beziehungen sind solide. Der wirtschaftliche Austausch boomt. Polen ist Deutschlands viertgrößter Import- und fünftgrößter Exportpartner. Seit 1991 haben drei Millionen junge Menschen am deutsch-polnischen Jugendaustausch teilgenommen. Zahllose Städte und Universitäten sind Partnerschaften eingegangen. Ein enges Verhältnis über die Grenze hinweg ist heute gelebte Realität.

1,3 Billionen Euro fordert Polen als Reparationen für die durch die Nationalsozialisten angerichteten Schäden.

 

Deutsche und Polen stellen sich gemeinsam der russischen Aggression entgegen. Deutschland muss freilich ein dreifaches Scheitern in den Jahren zuvor eingestehen: das Scheitern seiner Russland-, seiner Ukraine- und seiner Energiepolitik.

Polen jedweder politischer Couleur hatten immer wieder vor den Gefahren einer zu großen Energieabhängigkeit von Moskau gewarnt. Und ebenso vor einer naiven Sicherheitspolitik, die die Gefahren eines revisionistischen Russlands unterschätzt. Wir haben die Warnungen in den Wind geschlagen. Und haben nun den Schaden.

Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende hat große Erwartungen in Warschau geweckt. Unter den Ländern, die die Ukraine unterstützen, nimmt Deutschland mittlerweile den zweiten Platz ein.

Polen ist Frontstaat zwischen dem Westen und Russland

Diese Anstrengungen werden in Polen jedoch nicht gebührend wahrgenommen, weil es Pannen in der Kommunikation gab und Berlin als zögerlich bei der Militärhilfe wahrgenommen wird. Das hat das Misstrauen gegen die deutsche Außenpolitik in Polen sowie bei anderen Partnern in Ostmitteleuropa verstärkt.

Polen ist heute ein Frontstaat im systemischen Konflikt zwischen dem Westen und Russland, wie es die Bundesrepublik früher war. Ist dies den Deutschen bewusst?

Die Regierung in Warschau macht es der Koalition in Berlin freilich auch nicht leicht. Sie kritisiert die Bundesregierung öffentlich massiv und fordert Entschädigung in Höhe von 1,3 Billionen Euro für die von Deutschland verursachten Schäden während des Zweiten Weltkriegs.

Deutschland und Polen

Deutschland ist Polens wichtigster Handelspartner. Noch vor Ländern wie Italien oder Großbritannien ist Polen der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands.

Die deutsche Minderheit ist mit etwa 350.000 Personen die größte von 13 anerkannten nationalen oder ethnischen Minderheiten im Land.

Mit zwei Millionen Lernenden ist Polen laut Angaben des Auswärtigen Amts weltweit das Land mit den meisten Deutschlernenden.

Sie tut dies zu einem Zeitpunkt, in dem westliche Geschlossenheit im Krieg in der Ukraine von besonderer Bedeutung wäre.

Zweifellos besteht die moralische Verantwortung für die deutschen Verbrechen fort. Höchste Repräsentanten unseres Staates haben sich immer wieder dazu bekannt. Das Konzept einer deutsch-polnischen Expertenkommission zum „Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen“ sollte jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden.

Die polnischen Entschädigungsforderungen lehnt die Bundesregierung aber aus rechtlichen Gründen ab. Ungeachtet dessen haben unterschiedliche Bundesregierungen immer wieder Zahlungen geleistet. Solche Gesten bleiben auch in Zukunft möglich, jedoch kaum unter öffentlichem Druck.

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Beide Nachbarn stehen jetzt vor der Aufgabe, das angeknackste Vertrauen neu zu stärken. Dazu gehört in erster Linie eine proaktive Sicherheitspolitik.

Deutschland darf keinen Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und der Zuverlässigkeit im Bündnis aufkommen lassen und muss verlässlich eine führende Rolle bei der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der Ukraine. Es muss kooperativ führen und sich das Vertrauen jeden Tag neu verdienen.

Neues aus hessen

 

 

EUROPAWOCHE 2020

„Europa wird mehr denn je gebraucht“

Seit 1995 findet bundesweit in der ersten Maihälfte die Europawoche statt. In unterschiedlichen Formaten wird in dieser Zeit von ganz unterschiedlichen Akteuren für die europäische Idee geworben. Auch die Europawoche kann – wie viele andere Veranstaltungen in diesem Jahr – leider nicht wie geplant stattfinden. Die von örtlichen Vereinen und Initiativen organisierte Termine, Treffen und Informationsveranstaltungen wurden deshalb verschoben oder finden in digitalen Formaten statt. „Hessen ist ein Land der Europäerinnen und Europäer“, erklärte Europaministerin Lucia Puttrich. „Das Engagement für die europäische Idee der Einheit in Vielfalt ist großartig und ungebrochen. Europa wird mehr denn je gebraucht. Die Coronakrise hat uns gezeigt, dass es Situationen gibt, bei denen Grenzen keine Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Krise keine neuen Grenzen errichten. In Form von Handelsbegrenzungen, Ausfuhrstopps oder auch durch die Art, wie wir gemeinsame Lösungen diskutieren. Wir dürfen auch nicht bei jeder Diskussion ängstlich auf den Brexit schauen, sondern wir müssen uns unserer Stärke besinnen. Dazu gehört auch das Vertrauen, dass Europa immer ein verlässlicher Partner in der Not war.“

 

RECHTSSTAAT

Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen begrüßt

Europaministerin Lucia Puttrich begrüßt die Entscheidung der EU-Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen aufgrund der umstrittenen Justizreform einzuleiten. „Dieser Schritt ist konsequent und das Ergebnis langanhaltenden Starrsinns der polnischen Regierung“, so Puttrich. „Europa ist eine Wertegemeinschaft und uns gibt es nur als Gesamtpaket. Die Möglichkeit, bei Europa nur dort mitzumachen, wo es einem gefällt, gibt es nicht. Ein lebendiger Rechtsstaat ist ein fundamentales Prinzip der Europäischen Union. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Justiz garantieren müssen. Dieses Versprechen war die Eintrittskarte für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und daran wird die polnische Regierung heute erinnert. Die Unabhängigkeit der Justiz ist in Gefahr, wenn Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte Gefahr laufen, bei missliebigen Entscheidungen aus dem Dienst entfernt zu werden. Gerichtliche Entscheidungen dürfen nur auf Recht und Gesetz basieren und gerade nicht noch eine Extraprüfung enthalten, ob die Entscheidung mit der politischen Zielsetzung der Regierung übereinstimmt. Der Weg, den die EU-Kommission geht, ist deshalb richtig. Ich gehe davon aus, dass die polnische Regierung diesen Warnschuss versteht und die damit verbundene Erwartung an die Ausgestaltung des Rechtsstaats akzeptiert. Der Versuch, sich die Justiz zum Untertan zu machen, sollte ein für alle Mal beendet werden. Das gilt für Polen ebenso wie für Ungarn.“